Otto Bollhagen – 1861 bis 1883

Rund fünfzehn Monate später erblickte Otto als zweites von insgesamt fünfzehn Kindern das Licht der Welt. In der vom »Ackerbürgerstande« und einigen Honoratioren wie dem Apotheker, dem Arzt, dem Brennereibesitzer oder dem Postrat geprägten Stadt konnte der biedere Schneidermeister nur schwerlich mit Nadel und Schere seine wachsende Familie ernähren, da die handwerkliche Tätigkeit wegen der sich einbürgenden Geschäfte mit fertigen Anzügen immer erfolgloser wurde. Um die stets angespannte finanzielle Lage zu verbessern, versuchte sich der Vater als Kolonialwaren- und Zigarrenhändler, während die Mutter »ein Damenputzgeschäft führte und die Wesenberger Frauen und Töchter mit Sommer- und Winterhüten versorgte.« Otto und seine Geschwister verbrachten eine von ihren Altersgenossen abgeschlossene Kindheit, »weil letztere fast durchweg den Ackerbürgerfamilien angehörten und engere Beziehungen zu denselben eben nicht aufkamen.« Nach der Spielschule kam Otto auf die Wesenberger Volks- und Bürgerschule, für den Besuch der Neustrelitzer Bildungsschule reichten die finanziellen Mittel nicht. Kontakt mit der Außenwelt stellten die in Lübeck erscheinende »Eisenbahnzeitung« sowie ältere Bände der »Gartenlaube« her.

Das zeichnerische Talent wurde auf der Schule vom Zeichenlehrer gefördert. Der Unterricht basierte jedoch »nur auf möglichst gutes Kopieren von kleinen Steinzeichnungen, landschaftliche Motive, Tiere, Vögel usw. darstellend. Jeder Versuch, nach der Natur etwas zu zeichnen, war der damaligen pädagogischen Richtung zuwiderlaufend«.

Als er erkannte, daß bei »all meinem begeisterten Streben nach höherer künstlerischer Betätigung.... meine Mühen in Berlin eben nichts nutzten.... daß junge Leute meiner Begabung welche nicht gerade als außergewöhnliche Genies anzusprechen sind«, auf der ersten Kunstschule einer Stadt wie Berlin »nicht besonders auffielen«, gab er die Hoffnung, ein Stipendium zum mehrjährigen Lehrkurs zu erhalten, entmutigt auf. Um sich noch eine letzte Chance einzuräumen, besuchte er für ein Vierteljahr eine Tagesmalklasse und kopierte Malereien aus dem Hause Fugger in Augsburg, Meisterwerke italienischer Malerei, schuf Decken und Wandmalerei, fertigte Akte und Gewänderstudien an und erledigte sechs größere Studien und Arbeiten. Doch eine befriedigende Beschäftigung ließ sich in Berlin nicht finden.


In den Abendklassen hatte er im Gips- und Figurenzeichnen, in Aktmalerei, in Anatomie und Stillehre »soviel wegbekommen«, daß er nun danach strebte, »wirklich in der Praxis mein Können anzuwenden.« Er kehrte Berlin den Rücken und zog in die Hansestadt Hamburg. Als blinder Passagier in der vierten Klasse des Nachtzuges kam er an die Elbe und fand dort »wirklich als besserer Dekorationsmaler bzw. Künstler« Unterschlupf in einem Malerbetrieb, der in erster Linie einem Dekorationsmaler für die vielen Villenbauten suchte.